Fast auf den Tag genau vor einem Jahr fing die Gerüchteküche rund um Nico Kovač, zu dem Zeitpunkt noch Trainer bei Eintracht Frankfurt, an zu brodeln. Man munkelte, dass er beim FC Bayern München die Nachfolge von Jupp Heynckes antreten sollte. Tapfer dementierte er die Gerüchte und auf die Fragen der Reporter am 4. April, kam nur ein plattes: „Es gibt keinen Grund daran zu zweifeln, dass ich im nächsten Jahr nicht hier Trainer bin.“
Wenn es dann doch anders kommt…
Nur acht Tage später, am 12. April, passierte Folgendes: Es war ein ganz normaler Nachrichtentag, bis sich die die Kanäle mit den Top-News füllten. „Nico Kovač quittiert seinen Trainer-Job bei Eintracht Frankfurt und heuert zur kommenden Saison beim FC Bayern München an. Für alle Eintracht-Akteure ein Schlag ins Gesicht.“
Fußball-Deutschland kochte. Kovač galt als fahnenflüchtig, mit einem Jobwechsel, der hinterrücks abgewickelt und mit Eiseskälte betrieben wurde. Inmitten dieses Geschehens begegnete ich dem Frankfurter Sportvorstand Fredi Bobic auf dem Weg nach Berlin im Flugzeug. Er sah abgekämpft und müde aus, tiefe Ringe unter den Augen und fahrige Bewegungen verrieten den Stress in dem er sich gerade befand.
Ein Glücksgriff mit Folgen
Das „Wunder von Berlin“, der Sieg der Frankfurter Eintracht gegen die Bayern im DFB-Pokalfinale, hatte die gerissenen Wunden kurz darauf ein wenig heilen können. Doch wer sollte nun die Nachfolge bei Eintracht Frankfurt antreten? Wer wäre in der Lage diesen kraftvollen Geist Niko Kovač zu ersetzen? Tatsächlich war der Ersatz schnell gefunden: Der Österreicher Adi Hütter, den bis dahin kaum einer auf dem Zettel hatte und der für die Fußballgemeinde eine faustdicke Überraschung war.
Was dann passierte? Es lief. Und lief. Und läuft noch immer. In der Bundesliga, in der Europa League, mittlerweile sogar mit Kurs auf die Champions League. Ein Tor-Festival hier, ein Stimmungs-Festival dort. Und nirgendwo ist Neid zu vernehmen. Ganz im Gegenteil: Fußball-Fans jeglicher Couleur beobachten mit Freude die Auftritte der Frankfurter Eintracht. Selbst der große Bayern-Fan Til Schweiger lobt die Eintracht für ihre Spielweise. Trainer Adi Hütter meint den Grund dafür zu kennen: „Erfolg macht sexy!“
Diese Aussage passt zu ihm, ist aber nicht ganz richtig. Denn der wahre Grund liegt wohl eher bei Adi Hütter selbst und seiner sogenannten „Expressive Flexibility“. Seiner mimischen und körpersprachlichen Ausdrucksflexibilität.
Expressive Flexibility als Erfolgsfaktor
Ausdrucksflexibilität (Expressive Flexibility) ist der psychologische Faktor in der Körpersprache, der dazu führt, dass wir bei anderen ankommen. Und Adi Hütter kommt an. Denn bei seinem Auftreten und Agieren zeigt seine Körpersprache und Mimik ganz ehrlich und offen die gesamte Bandbreite unserer Emotionen. Impulsiver Ärger, wenn es nicht so läuft wie geplant (denken wir nur an die Flaschen-Aktion im Spiel gegen Inter Mailand, nach der er den Rest des Spiels von der Tribüne aus verfolgen durfte).
Ehrlich beschämt, wenn er sich für das eigene Fehlverhalten entschuldigt. Echt erlebte Freude, wenn seine Schützlinge das umsetzen, was trainiert wurde und ganz generell: wenig Verachtung. Er wirkt menschlich und ist für alle greifbar, nahbar, manchmal auch verletzlich. Und seine Spieler danken es ihm.
Wollen wir unser emotionales Leben und damit die Expressive Flexibility verstehen, dann hilft auch hier ein Vergleich aus dem Fußball. Denn unsere Emotionen erleben wir in einem 4:3:3 – System.
Ärger, Ekel und Verachtung stehen dabei im Sturm. Sie sind offensive, explorierende Emotionen, die uns nach vorne treiben. Liebe, Interesse und Freude stellen das nach vorne und hinten kooperierende Mittelfeld dar, die sogenannte transzendenten Emotionen. Trauer, Schuld, Scham und Angst sind unsere Abwehr. Die Emotion Überraschung steht im Tor. Und an der Seitenlinie steht der Trainer, die Emotion Stolz.
Das A und O? Authentizität
Fehlt oder kränkelt nur ein einziger Spieler auf unserm „Lebensfeld“, besteht die Gefahr, dass das Spiel unentschieden ausgeht oder im schlimmsten Fall verloren wird. Das gleiche passiert, wenn eine Emotion zu viel Raum einnimmt. Der Individualist, der sich in der Mannschaft in den Mittelpunkt drängt, bringt alle anderen Spieler in die Bredouille.
Fredi Bobic hatte mit der Verpflichtung von Adi Hütter einen guten Riecher. Denn Adi Hütter ist das, was man allgemein als authentisch bezeichnet. Wollen wir authentisch sein, dann ist ein ehrliches und offenes Erleben unserer emotionalen Lebensmannschaft unerlässlich.
Als Fan von Borussia Dortmund wünsche ich mir natürlich, dass meine Mannschaft den Meistertitel holt. Momentan erwische ich mich allerdings auch dabei, dass ich Eintracht Frankfurt für das Einziehen in die Champions League die Daumen drücke.
Menschen zu verstehen ist die Währung des 21. Jahrhunderts
Deine Wiebke Marschner