11 Jahre und 8 Monate oder 4.258 Tage. Das ist die Zahl, die beschreibt, wie lange ich bei meinem letzten Arbeitgeber angestellt gewesen bin oder auch wie lange ich zu einem Team dazugehört habe.
Dazugehört. Vergangenheitsform. Oder jetzt, nicht mehr dazugehörig. Denn selbstgewählt habe ich mein Team, meine Anstellung, meine gefühlte „Familie“ verlassen. Ein langer und harter Prozess, der mehr als drei Jahre gedauert hat.
Warum so lange?
Die Frage versuche ich immer noch zu beantworten. Denn das Wissen oder das Unwissen über unserer „Zughörigkeit“, ist eine tiefgreifende Empfindung. Robert Dills, Entwickler der logischen Ebenen, beschreibt in seinem einfachen und eleganten Modell die Ebene der Zugehörigkeit als die tiefste oder innerste Ebene, wo wir die großen Fragen unseres Lebens, wie „Wo gehöre ich hin“ und „Zu wem gehöre ich“ betrachten und durchspielen.
Was also ist das mit der Zugehörigkeit und was daran kann uns entweder blockieren oder aber auch zu Großem bewegen?
Fußballfans tragen mit Stolz die Farben und das Emblem ihres Vereins. Und wenn man ihnen zuhört, wie sie von „ihrer“ Mannschaft sprechen, und auch davon berichten, dass „wir“ schon wieder verloren haben, dann hat das etwas leicht Skurriles. Denn sind wir doch mal ehrlich: „Wir“, im Sinne von gemeinsam auf dem Platz stehen und kämpfen, gibt es in den oberen Ligaklassen eher selten. Und trotzdem ist das „Wir“ eine klare Selbstverständlichkeit. „Wir“ versammeln uns, stimmen Lieder an und sind als zwölfter Mann auf dem Platz. Und Großes wird möglich, wie beim Championsleague Rückspiel der „Reds“ gegen Barcelona am 7. Mai 2019. 90 Minuten und darüber hinaus sorgten die Zuschauer für eine elektrisierende Stimmung und das Stadion bebte vom legendären „You´ll Never Walk Alone“.
Oder nehmen wir nur einfach den Besuch einer vermeintlich „angesagten“ Location. Gerade jetzt, wo ich diese Zeilen schreibe, sitze ich in der berühmt, berüchtigten „Buhne 16“ in Kampen – einer der ersten Sylter FKK-Strände und Gunter Sachs Wahlheimat – und beobachte Menschen. Junge und weniger junge Menschen im Düsseldorfer Style und Männer mit zurückgegelten Haaren. Das Glas Rosé für 8,50 € und unterm Tisch der alternde Rauhaardackel mit pinkfarbenem Halsband. An der Güte des Weines kann der Besuch nicht liegen und an der Sitzgelegenheit auch nicht. Aus welchem Grund kommen sie trotzdem? Dazugehören zu einer Gruppe von Menschen, die sich das „leisten“ können? Ich verschwinde besser wieder.
Bei mir waren es die vertrauten Menschen, die heimelige Atmosphäre, das Gefühl von gebraucht werden, das gemeinsame Arbeiten an Projekten. Die gefühlten 596 Trainingstage und gemeinsamen Abende in Veranstaltungshotels mit vielen herzlichen Gesprächen. Die etablierte Position und der bequeme Rhythmus des Alltags.
Für den Start in mein berufliches „Allein sein“ hatte ich mich entschlossen zwei Wochen abzutauchen. Alleine, raus, Kopf freibekommen, Gedanken sortieren, hinschauen. Hinschauen was ich aufgegeben habe und hinschauen, wo ich jetzt hingehöre.
Sylt war mein Ziel, weil in der Bretagne nichts mehr zu finden war. Meer, Wind und Wellen. Schon immer hat mich die Nordsee magisch angezogen. Eine tiefe Verbundenheit zu diesen Elementen, die mir wohl mein Vater als alter Segler mitgegeben hat. Eins sein mit diesen Kräften. Die Kälte und das Prickeln auf der Haut spüren, das Salzwasser schmecken.
Also, nichts wie los. Wenn nicht hier und jetzt, wann dann? Die Anmeldung für den Kitesurf-Kurs war schnell und schmerzlos und lies mich in der Nacht nicht schlafen. am Morgen dann unglaubliche Kräfte, die ein Schirm im Wind entwickelt und die meine Masse mit Leichtigkeit anhebt und über den Sand zerrt, weil ich der Meinung bin, das Reißen an der Leine sei die richtige Taktik.
Aber ganz im Gegenteil, loslassen ist die Lösung. Nur dann kann der Kite die Energie des Windes aufnehmen und sich geschmeidig darin bewegen.
Ich hänge am Kite, Sand in den Ohren, schmerzende Flecken an der Hüfte und staune über diesen Gedanken, der mich in Verbindung bringt mit meiner Fragestellung „Wo gehöre ich hin?“. Denn: Gerade, weil uns die sanften Schnüre unseres Lebens halten, können wir uns frei bewegen, wenn wir loslassen.
In diesem Sinne wünsche ich euch viel Loslassen und freue mich gemeinsam mit euch auf neue Aufgaben und Projekte.
Herzlichst
Eure Wiebke Marschner